Kürzlich schickte mir ein Leser meiner Kolumne (in der Wochen-Zeitung für das Emmental und Entlebuch) Post. Wunderschön, fand ich, zumal es sich um eine handgeschriebene Karte handelte. Auf der Vorderseite ein Foto von Frauen beim Peperoni-Rüsten. Anheimelnd – das meine ich absolut ernst. Im Kontrast dazu stand der Inhalt. Der Leser kritisierte meine Krimileidenschaft, über die ich geschrieben hatte. Er warf mir vor, mich in Zeiten von Gewalt und Tyrannei an Geschichten über Mord und Todschlag zu erfreuen.
Ich wusste nicht genau, was ich ihm antworten sollte und fragte im Rahmen des diesjährigen BookLove Festivals in Zürich die meiner Meinung nach allerbeste Krimiautorin der Welt um Rat.
Nele Neuhaus: Ich hätte ihm Recht gegeben. Mit fällt es angesichts der beunruhigenden geopolitischen Lage auch schwer, mich mit fiktionalen Abgründen der Menschheit zu beschäftigen. Momentan kann mich kaum ein Buch von den umwälzenden Veränderungen ablenken, die sich gerade auf der ganzen Welt ereignen, erst recht kein Krimi.
Über dieses Phänomen habe ich schon oft nachgedacht und werde das auch immer wieder gefragt. Früher waren es Märchen, heute sind es Krimis in Buchform oder im Fernsehen, die Spannung und Nervenkitzel bieten. Wir Menschen sind fasziniert vom Bösen und Abgründigen, allerdings glücklicherweise eher theoretisch; nur sehr wenige werden tatsächlich zu Mördern oder Serienkillern. Auf der Couch, in unseren sicheren vier Wänden, erleben wir Spannung ohne Risiko – das ist ein bisschen so wie eine Fahrt in der Achterbahn. Besonders gut gefällt Leser:innen wie Fernsehzuschauer:innen übrigens, wenn es am Ende eine schlüssige Auflösung gibt und die "Guten" siegen. Das befriedigt das Bedürfnis nach Ordnung und Gerechtigkeit in einer immer unübersichtlicheren Welt.
Man muss die Regeln des Krimis und seiner Sub-Genres verstanden haben. Man sollte ein gutes Gespür dafür haben, was die Menschen aktuell bewegt und berührt. Dazu gehören neben einer guten Beobachtungsgabe eine große Portion Einfühlungsvermögen, um glaubwürdige Figuren zu erschaffen, mit denen sich Leserinnen und Leser identifizieren können. Stereotypen sollte man vermeiden, Klischees hingegen sind erlaubt, wenn man sie richtig einsetzen kann. Außerdem braucht man viel Disziplin und Durchhaltevermögen, darf nie den Überblick verlieren und sollte sein Schreibhandwerk beherrschen.
Ich habe in der Zusammenarbeit mit Drehbuchautor:innen, Regisseur:innen und Produzent:innen gelernt, dass Drehbuch und Roman zwei komplett unterschiedliche Dinge sind und einer völlig anderen Herangehensweise bedürfen. Für Film und Fernsehen wird vieles verknappt, Handlungsstränge verkürzt, aus mehreren Figuren wird eine Einzige. Im Film können viele Seiten innerer Monologe durch ein oder zwei Bilder erzählt werden. Im Buch muss man gut erzählen und beschreiben können, im Film gilt die Devise show, don’t tell.
Ich hatte im Dezember eine große OP. Nach vielen Jahren schlimmer Schmerzen und Beschwerden, die dazu führten, dass ich nur noch mit Korsett und Schmerzmitteln am Schreibtisch sitzen konnte, wurden fünf Wirbel meiner Lendenwirbelsäule versteift. Die Operation ist gelungen, soweit ich das heute beurteilen kann, die schlimmen Schmerzen sind weg. Aber noch darf und kann ich keine längere Zeit sitzen, deshalb habe ich den eigentlich für diesen Herbst geplanten Krimi in Absprache mit meinem Verlag noch etwas aufgeschoben.
Schreiben ist für mich wie Atmen, eine Selbstverständlichkeit. Seit meiner Kindheit habe ich mir gerne Geschichten ausgedacht und aufgeschrieben. Dass mein liebstes Hobby zu meinem Beruf geworden ist, was für mich das größte Glück. Jeden Tag schreiben zu dürfen war einfach herrlich. Doch in den vergangenen Jahren ist mir die Freude am Schreiben wegen der ständigen Schmerzen abhandengekommen. Aus Freude wurde ein Muss. Weil ich nicht mehr in meinen Gedanken versinken konnte und längere Konzentration durch die Schmerzen unmöglich geworden war, wurde
das Schreiben zur Quälerei. Jetzt kann es dank der Operation wieder anders werden. Ich freue mich auf den Moment, an dem ich mich wieder an den Schreibtisch setzen und meine Finger über die Tastatur fliegen lassen kann. Darauf freue ich mich unwahrscheinlich.
Interview: Miriam
Hier gehts zu unserer Podcastfolg zu "Monster" von Nele Neuhaus, dem neusten Band der Bodenstein-Kirchhoff-Krimireihe. Ich empfehle, jedes einzelne Erwachsenenbuch der Autorin zu lesen. Sei es noch so crazy wild (ich sage nur: Sheridan Grant)
Weitere Infos: www.neleneuhaus.de