Vor ein paar Monaten hat mich Nan Goldin zum Weinen gebracht. In ihrer Ausstellung This Will Not End Well in Berlin blickte die US-Fotografin in verschiedenen Diashows auf ihr Schaffen, oder mehr noch, ihr persönliches Leben zurück. Auf ihre Kindheit mit einer Schwester, die sich früh das Leben nahm, weil sie freier dachte als es einer Frau in dieser Zeit erlaubt war, und auf eine kreative Laufbahn, die Goldin unter anderem in LGBT-Subkulturen verbrachte. Warum erzähle ich das? Weil ich Nan Goldin grossartig finde, klar. Aber vielleicht auch einfach deshalb, weil ich in dieser Ausstellung gar nicht zwingend nur der menschlichen Schicksale oder der emotionalen Begleitmusik wegen weinte. Sondern viel mehr, weil die Zeit, aus der viele von Goldins Bildern stammen, ein für allemal vorbei ist. Die Zeit vor dem Smartphone. Ich vermisse sie sooooo sehr!
Nan Goldin herself wird angesichts unserer digitalen Realität offenbar auch von einer gewissen Trauer erfasst.
Die Frage, was Menschen, die sich nach mehr analoger Lebenszeit sehnen, denn hier noch machen sollen, treibt mich seit längerem um. Klar, man kann Apps löschen oder auf ein altes Handy umsteigen – nur um bei der Erkenntnis, dass man sogar die Blumen vom hinterletzten Pflückfeld nur noch mit Twint bezahlen kann, in eine erneute Verzweiflung zu verfallen. Man kann sich selber für technische Entwicklungen zu begeistern versuchen - oder einfach aufgeben und sich damit trösten, dass heute nich alles schlechter ist als im letzten Jahrtausend. Mich interessiert nicht mal so, was der dauerhafte Blick auf den Minibildschirm mit unseren Hirnen macht. Ob wir verdummen, zu Maschinen werden, beim Blick in ein echtes Gesicht Angstzustände bekommen, uns irgendwann keine Beine mehr wachsen, weil wir alles vom Sofa aus erledigen. Ich mag auch keine Zeit in Offline-Camps verplempern oder Geld für Mindfulness ausgeben. Mich reut es einfach, dass Dinge verloren gehen, die unser Leben früher bunt und spannend gemacht haben.
Hier ein paar Erinnerungen und Inspirationen zum analogen Revival:
Apropos Buch: Kürzlich führte ich ein Interview mit der Schauspielerin, Drehbuchautorin und Regisseurin Lisa Brühlmann. Es ging um ihren grossartigen neuen Film «When We Were Sisters» (spielt in den wunderbaren 90ern!) und off the record dann auch um die Kreativität als die grösste Konkurrenz des Scrollens. Brühlmann meinte, sie gönne sich regelmässige Künstlerinnendates wie Ausstellungsbesuche oder Waldspaziergänge. Und da wusste ich: Ha, sie hat «The Artists Way» von Julia Cameron gelesen! Das Buch aus dem Jahr 1992, mit dem ich so gerne missioniere, weil es mein Leben wirklich verändert oder besser gesagt: mich den glücklichen Jahren vor dem Smartphone wieder näher gebracht hat. Lest es und ihr werdet sehen, was es mit den Künstlerinnendates auf sich hat. Miriam