Mit mir hat man selten Krach. Es sei denn, man schleppe ein neues elektronisches Gerät in den Haushalt und wolle mich davon überzeugen, wie wahnsinnig gäbig das ist. Mein Leben war gäbig bis in jeder unserer Steckdosen irgendein Ladekabel steckte, alle fünf Minuten eine Maschine piepste und ich den Fahrplan nicht mehr konsultieren konnte, weil der Akku unten war und es für die Handtasche längst keine Alternative auf Papier mehr gab. Weiche von mir, Technik!
Auch wenn sein Name etwas gar ähnlich klingt wie die Marke meines Staubsaugers: Gegen Rio Wolta hatte ich nie was (lest hier, hier, hier oder hier, wenn ihr mir nicht glaubt). Offenbar sind wir uns gar so verbunden, dass der Zürcher Musiker nun ein viertes Album namens «Technophobia» veröffentlicht hat. Praktisch gleichzeitig wie ich einen ganz passenden Artikel zu dem Thema schrieb. Das Album beginnt mit «10 Paces» oder besser gesagt: mit einem Geräusch, das mein technikferner Hund stets mit einer Fliege verwechselt, der er sogleich nachjagt - obwohl man das Surren wohl eher als vertonten Elektrosmog interpretieren müsste. Eine Stimme setzt ein, die verrät, wie man die «toxische Technophobie» überwinden kann. Sie klingt freundlich, wenn auch noch lange nicht so lieblich wie die Musik, mit der sich das Surren allmählich verwebt. Gefährlich schön.
Dieser Einstieg soll einen aber ruhig skeptisch stimmen. Denn was folgt, ist eine Reise durch eine (stets mit pulsierenden, ratternden, rauschenden Maschinengeräuschen unterlegte) Welt, in der die Menschen ihre Technophobie zwar überwunden haben, nun aber am Rad drehen, nach Atem ringen, stets damit beschäftigt, mit dem Tempo unserer Zeit mitzuhalten, zu leisten, ohne Aussicht auf eine Belohnung. Eine Pause. Selbst die Melodien und der Gesang, die einzigen organischen, warmen Elemente in diesem von Rio Wolta kreierten Ort, erschöpfen sich von Song zu Song. Und werden immer monotoner. Zumindest bis zu "Escape", einem Song, der dann glücklicherweise daran erinnert, dass wir unseren Gefühlen immer noch stark verbunden sind. Und deshalb auch die Möglichkeit haben, eine Alternative zur Technik-Dystopie zu wählen.
Zum Album kann man auf der Website von Rio Wolta übrigens ein Medikament gegen Technophobie bestellen. Die Idee ist genial, denn eine Tablette wirkt nur, wenn man sie zusammen mit dem Album konsumiert, das man zehn Wochen lang von Anfang bis Ende durchhören muss. Während man sitzt oder liegt natürlich. Ich habe die Tabletten nicht getestet, denn ich verteidige meine Technophobie mit Händen und Füssen. Aber ich behaupte mal, sie wirken ähnlich wie der Film "Bagger Drama" (läuft aktuell in diversen Deutschschweizer Kinos) von Piet Baumgartner, für den Rio Wolta die Musik komponiert hat. Und zwar so, dass einem die Armhaare zu Berge stehen, die Tränen laufen, das Herz aufgeht. Derart heftig, dass es allen Maschinen der Welt zusammen den Saft abstellt. Miriam
RIO WOLTA: "Technophobia", out, No Signal Music
Fotos: Tatjana Rüegsegger (Porträt) / Oksana Yushko (Cover)